Stand: 9. April 2022
Wir, die Mitglieder der Siedlungsgenossenschaft Wylergut SGW, umschreiben mit den nachstehenden Leitsätzen unsere Ansprüche, die wir ans Wylergut als Wohn- und Lebensort heute und in Zukunft erheben. Die Leitsätze geben die Richtung an, in die sich die SGW und das Wylergut entwickeln sollen. Die einheitliche Gestalt des Wylerguts ist ein bemerkenswertes Beispiel des genossenschaftlichen Wohnungsbaus, der bewahrt werden soll. Bei notwendigen Veränderungen suchen wir nach der richtigen Balance zwischen dem Erhalt gewachsener Strukturen und sinnvollen und sich gut ergänzenden Erneuerungen. Die Leitsätze orientieren sich an unseren heutigen Bedürfnissen als Mitglieder sowie am langfristigen Bedarf unserer Genossenschaft und des Quartiers. Sie basieren auf den gelebten Werten und der Kultur der SGW und umschreiben eine Vision dessen, was durch die gemeinsame Entwicklung des Wylerguts erreicht werden soll.
1. Die SGW ist die federführende Organisation, um das Wylergut als Einheit weiterzuentwickeln
Die SGW ist eine gemeinnützige Genossenschaft, die seit den 1940er Jahren besteht. Sie ist ein Spezialfall in der Genossenschaftslandschaft: die Mehrheit der SGW-Mitglieder sind Eigentümer:innen von Einfamilienhäusern (EFH), die sie mehrheitlich selber bewohnen; zwei Fünftel der Genossenschafter:innen wohnen als Mieter:innen in den von den EFH topographisch leicht abgesetzten Mehrfamilienhäusern (MFH) an der Polygonstrasse. Bis Anfang der 2000er war der Bezug der Einfamilienhäuser EFH an Belegungskriterien geknüpft. Der Weiterverkauf von EFH erfolgte nur an Familien mit Kindern und der Verkaufspreis war gedeckelt. Während 60 Jahren ermöglichte diese Regelung jungen Familien den Erwerb von preisgünstigem Eigentum. Zu Beginn der 2000er Jahre wurden durch einen Mehrheitsbeschluss der Genossenschafter:innen die Vermietungs- und Verkaufskriterien für die EFH aufgehoben. Seit rund 20 Jahren bestehen für diese Liegenschaften weder Belegungs- noch Preisvorgaben. Die EFH können seitdem an die Meistbietenden verkauft oder vermietet werden. Auch Entscheide über Investitionen oder bauliche Veränderungen sind alleine Sache der Eigentümer:innen. Bei den in den 1940er Jahren erstellten MFH gilt hingegen weiterhin die Kostenmiete, die Wohnungspreise sind im Vergleich mit jenen des angrenzenden Nordquartiers sehr günstig. Entscheide zu Investitionen in den Liegenschaftsbestand obliegen, je nach Grösse, der Verwaltung oder der Generalversammlung der SGW.
Die Eigentümer:innen der EFH bilden die Mehrheit der Genossenschaft. Mit ihrem Verbleib in der Genossenschaft haben sie sich entscheiden, die Weiterentwicklung der SGW aktiv mitzugestalten und auch strategische sowie materielle Verantwortung für das Eigentum der SGW zu übernehmen: die Erneuerung der MFH, die gemeinschaftlichen Einrichtungen und die von der SGW verwalteten Freiräume. Dieser Grundsatz, gemeinsam Verantwortung für die SGW tragen zu wollen, bildet die Grundlage, um trotz der unterschiedlichen Ausgangslage gemeinsam das Wylergut zu gestalten und den Liegenschaftsbestand im Besitz der SGW weiterzuentwickeln.
2. In den Mehrfamilienhäusern langfristig preisgünstigen Wohnraum garantieren
Gemeinnützige Genossenschaften erstellen Wohnungen nicht um Geld anzulegen, sondern um ihren Mitgliedern attraktiven, zeitgenössischen und preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Genau zu diesem Zweck hat die SGW das Wylergut erstellt.
Heute verfügt die Genossenschaft über 156 Mietwohnungen in den MFH an der Polygonstrasse, die der Mieterschaft zur Kostenmiete abgegeben werden. Die MFH bieten eine wichtige Ergänzung zum restlichen Wohnraumangebot im Wylergut und Wohnungen werden gemäss den Vermietungsrichtlinien der SGW vergeben.
Die SGW und somit alle ihre Mitglieder zeichnen sich gemeinsam verantwortlich für den Liegenschaftsbestand. Die vor rund 75 Jahren erstellten MFH werden langfristig grundlegende Erneuerungen erfahren. Die Erneuerungsmassnahmen der MFH müssen so ausgelegt sein, dass sie etappier- und finanzierbar sind. Wie bereits 1940 ist es auch künftig das Ziel der SGW, langfristig preisgünstige Wohnungen zu schaffen, die ein barrierefreies Wohnen für Menschen aller Generationen zulassen und attraktiv für unterschiedliche Haushaltformen sind. Die Etappierbarkeit ermöglicht, dass jene Mitglieder, die bereits heute in den Mehrfamilienhäusern leben, auf lange Zeit zu vergleichbaren Konditionen in der Genossenschaft wohnen bleiben können.
3. Ein familienfreundliches Quartier, das künftig allen Generationen attraktive Aufenthaltsorte bietet
Das Wylergut ist ein sehr familienfreundliches Quartier. Die EFH verfügen über grosszügige private Grünflächen, die MFH über gemeinsame Rasenspielflächen, das Schulareal umfasst attraktive Aufenthaltsbereiche und die Betreuungs- und Schulangebote sind nach wie vor vorhanden (Tagesschule, Basisstufe bis 6. Schuljahr). Zentraler Bezugspunkt für die Kinder und Familien stellt der Ort rund um die Schule und die ehemaligen Geschäftshäuser dar (Hartfläche Quartierplatz, Platz unter den Linden, Schulhausplatz).
Er dient als Treffpunkt für Quartierfeste und weitere Anlässe – hat aber Entwicklungspotential. Das Verwaltungs- und Sitzungslokal der SGW und das Trefflokal («Treff») liegen ebenfalls am Platz. Es sind solche Qualitäten und Nutzungsangebote, die weiterentwickelt werden sollen: generell wünschenswert sind im Wylergut Gemeinschaftsbereiche und attraktive Begegnungsorte für alle Generationen und unterschiedliche Aktivitäten.
Die vielen Grünflächen des Wylerguts sind, mit Ausnahme der Rasenflächen der MFH, überwiegend wenig durchlässige Privatgärten. Im Perimeter des Wylerguts gibt es neben den öffentlichen Räumen ums Schulhaus weitere öffentliche Plätze, die zur Begegnung einladen wie den Spielplatz am Pillonweg oder das Wiesenbord gegen die Aare an der Haldenstrasse. Die Strassen als weitere Begegnungsorte sind überwiegend schmal und haben keine Trottoirs. Im Sinne der Familienfreundlichkeit, aber auch der gewünschten Alltagsbegegnung zwischen Jung und Alt, sollte es künftig ohne weiteres möglich sein, diese frei und ungefährdet nutzen zu können – zu einem Schwatz innezuhalten oder diese auch zu bespielen. Die SGW will, dass künftige Entwicklungen diesem Anliegen Rechnung tragen.
Massgeblich zur Attraktivität des Wylerguts tragen die ans Quartier angrenzenden Freiräume und Quartierangebote bei: das Wylerbad, das Freibad Lorraine, die Aare als Naherholungsraum, der Wald. Aber auch die zu Fuss oder mit dem öffentlichen Verkehr gut erreichbaren Läden, Restaurants, die Bibliothek etc. im Nordquartier oder für Jugendliche der Jugendtreff Graffiti.
4. Siedlungscharakter erhalten – räumliche Trennungen überwinden
Wesentliche Charaktereigenschaft des Wylerguts ist sein einheitliches Siedlungsbild. Es zeichnet sich durch standardisierte Häusertypen, eine von Strassenzügen gerahmte Höhenstaffelung, den hohen Grünflächenanteil und eine vergleichsweise sehr tiefe bauliche Nutzung aus. Dieses Siedlungsbild, für das auch der Begriff «Gartenstadt» verwendet werden kann, wird im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) ausdrücklich gewürdigt.
Der Liegenschaftsbestand des Wylerguts hat heute ein Alter erreicht, bei dem sich mittel- bis langfristig für die SGW als Besitzerin der MFH wie auch für die Privateigentümer:innen der EFH die Frage stellt, wie mit den Bestandesbauten umgegangen werden soll. Die Nachfrage nach Wohnraum, klimaneutrales und vom Öl unabhängiges Wohnen, Kosten-Nutzen Abwägung bei Erneuerungsmassnahmen sowie grosse Investitionsvorhaben im Bereich der EFH (erste Eingaben für Ersatzneubauten sind bereits erfolgt) werden das Wylergut inskünftig verändern.
Die SGW will, dass auch ein sich veränderndes Wylergut einen einheitlichen Charakter und die hohe Wohnqualität behält. Das künftige Nebeneinander von sanierten, erweiterten oder neu erstellten Gebäuden soll bestmöglich aufeinander abgestimmt sein und in einem gemeinsam vorgegebenen Rahmen erfolgen. Diesen lotet die SGW im Rahmen ihrer planungsrechtlichen Möglichkeiten aktiv aus.
Die SGW sieht die Erneuerungen auch als Chance, z. B. für neue Haushaltsformen, zeitgenössischen Wohnraum für Familien, eine Kinderdichte im Quartier, welche die Auslastung der Schulklassen weiterhin ermöglicht oder Veränderungen, welche die räumlichen Barrieren im Quartier überwinden. So sind etwa Lösungen gewünscht, welche den MFH Bereich (Strukturgruppe Wylergut Süd) mit dem EFH Bereich (Strukturgruppe Wylergut Nord) an der als Durchfahrtsstrasse angelegten Grimselstrasse verbinden.
5. Von der Siedlung mit Nutzgärten zur naturnahen Gartenstadt
Das Wylergut zeichnet sich im Bereich der EFH durch Privatgärten aus, die jeweils einer Wohneinheit zugeordnet sind. Ursprünglich mit Nutzgärten konzipiert, hat hier ein grosser Wandel stattgefunden. Die oft von Hecken gesäumten und voneinander meist abgetrennten privaten Gärten haben hohe Rasenflächenanteile und sind heute mehrheitlich als Orte der Erholung und Musse konzipiert. Entstanden sind vielerorts auch Ziergärten, mit Pflanzen aus aller Welt. Teilweise wurden im Vorland oder eingangs der Gärten der EFH Privatparkplätze geschaffen.
Auch die MFH verfügen bei den Parterrewohnungen einseitig über kleine «private» Vorgärten, wobei die Rasenflächen zwischen den Häusern jeweils den darauf hinausgehenden Hausgemeinschaften zugewiesen sind.
Die «Gartenstadt» Wylergut bettet sich mit dem Aareraum und den umgebenden Waldflächen zwischen wertvolle Naturräume. Das Quartier hat das Potential, eine Vielzahl an Vernetzungswegen zwischen diesen Naturräumen zu bieten. Im Sinne der Förderung der Biodiversität begrüsst die SGW insbesondere Gartengestaltungen, die heimische Pflanzen bevorzugen, gefährdeten Arten Rückzugsmöglichkeiten bieten und in Pflege und Unterhalt ökologisch nachhaltig sind.
Überdies fördert die SGW, dort wo ihr das möglich ist, die Entwicklung von naturnahen Grünflächen als vielseitig nutzbare Begegnungsorte. Diese Bereiche dienen dem Verweilen und der Pflege nachbarschaftlicher Beziehungen.
6. Klimabewusst und energetisch vorbildlich
Die SGW ist sich der Verantwortung für die kommenden Generationen bewusst. Bei den MFH, wo sie als Genossenschaft die Entwicklung direkt mitbestimmen kann, setzt sie langfristig auf die Schaffung eines klimaneutralen Liegenschaftsbestands.
Im Bereich der EFH fordert die SGW ihre Mitglieder auf, Erneuerungsmassnahmen am Gebäudebestand unter einem energetischen Blickwinkel zu vollziehen. Sie unterstützt inhaltlich gemeinsame Initiativen im Bereich gemeinsamer Versorgungsstruktur (Wärme, Abwasser, Elektrizität etc.) wie auch Initiativen einzelner (z. B. Fotovoltaik) und setzt sich, wo es ihr möglich ist, bei den Behörden für die Bewilligungsfähigkeit dieser Initiativen ein.
Die SGW begrüsst Initiativen, die das Teilen und damit den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen fördern. Künftige Entwicklungen des Wylerguts, z. B. im Bereich der Mobilität, sollen deshalb immer auch unter diesem Blickwinkel erfasst und beurteilt werden.
7. Mehr als Wohnen – Möglichkeiten schaffen und fördern
Die SGW unterstützt den Aufbau tragfähiger Nachbarschaften. Sie setzt sich für ihre Mitglieder ein, bietet Plattformen der Beteiligung und der Kommunikation. Sie macht die vielfältigen Aktivitäten im und um das Wylergut sichtbar und ermöglicht interessierten Bewohner:innen den Zugang zu den Angeboten im Quartier.
Die SGW unterstützt gemeinschaftliche Infrastrukturen und hilft Initiativen zu vernetzen. Die Umsetzung von Projektideen soll so einfach und niederschwellig wie möglich gemacht werden. Die Projekte können einen temporalen Charakter haben, Orte oder Gruppeninitiativen laufen so lange wie danach ein Bedürfnis besteht; Projekte dürfen auch wieder verschwinden oder Platz für Neues machen.
Bereits heute gibt es Initiativen, wie zum Beispiel die Gruppe «Kultur im Wylergut», die vielfältige Aktivitäten durchführen. Möglichkeiten für weitere Initiativen z. B. Sharing, räumlich begrenzte Nachbarschaftshilfen etc. sind gegeben. Ebenfalls finden sich nachbarschaftsbildende Räume wie das Trefflokal neben dem SGW Büro. Mit der Übernahme des Bootshauses an der Aare von der Stadt Bern konnte auch ausserhalb des eigentlichen Perimeters des Wylerguts ein gemeinschaftlicher Ort für die Mitglieder der SGW geschaffen werden.
Bei Entwicklungen im Wylergut gilt es im Sinne einer sozial nachhaltigen Quartierentwicklung die bestehenden Nachbarschaftsprojekte mitzudenken und zu prüfen, ob und ggf. wo weitere Begegnungsräume geschaffen oder Initiativen ermöglicht werden können. Aber auch wo Räume verloren gehen oder bereits verlorengegangen sind und ob im Zuge baulicher Veränderungen neue Räume geschaffen werden können oder müssen.